Die Angst vor Status- und Fördermittelverlust in der sozialen Arbeit verhindert Politisierung

#steileThesen: These 10 - September 2019

Kritik am System und Veränderung im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit sind unbequem – nicht nur für den/ die Kritisierte/n.

Wir alle kennen die Redewendung „Beiße niemals die Hand die dich füttert“. Soziale Arbeit wird in Deutschland überwiegend durch Steuermittel finanziert, also als Zuwendung durch die Kommunen oder das Land an die Träger ausgereicht.

Entsprechend gibt es die Erwartung an die Zuwendungsempfänger, in deren Sinne zu agieren und als Teil des politischen Systems Gesetze und Regeln umzusetzen. Die Politik schafft den gesetzlichen Rahmen und verteilt das Geld – die Vereine und Verbände setzen die konkrete Leistung um und das möglichst effizient und nach marktwirtschaftlichen Kriterien: Soziale Arbeit als Dienstleister in einer neoliberalen Gesellschaft.

Was aber, wenn durch  politische Entscheidungen strukturelle Ungerechtigkeiten geschaffen und Ausgrenzung befördert wird? Die globale Definition Sozialer Arbeit, verabschiedet von der  International Federation of Social Workers im Jahre 2014, sagt u.a.: „Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte, gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlagen der Sozialen Arbeit“.

Diese Prinzipien wird man in den meisten Leitbildern Sozialer Organisationen wiederfinden, und so erwarten die Adressat*innen zu Recht, dass Sozialarbeiter*innen als Lobbyist*innen sozialer Themen agieren und ihre politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten nutzen, um für Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu streiten.

Soziale Arbeit bewegt sich also in dem Dilemma, verschiedenen sowie konträren Ansprüchen genügen zu müssen und dabei auch den eigenen ethischen Grundsätzen zu folgen. Und dieses Dilemma verschärft sich in dem Maße, wie gesellschaftliche Entwicklungen die Lebenssituation von Bevölkerungsgruppen verschlimmern und universelle Menschenrechte missachten.

Der Ausgang der Landtagswahlen 2019 in Sachsen könnte uns als soziale Organisationen vor große moralische Probleme stellen. Inwieweit sind wir bereit, für den Erhalt unserer Arbeit Kompromisse einzugehen und unsere ethischen Prinzipien zu untergraben? Es geht dabei auch um den Verlust von Arbeitsplätzen und von funktionierenden Angebots- und Unterstützungsstrukturen für unserer Adressat*innen.

Was also ist zu tun?

Soziale Arbeit muss sich in Zukunft noch viel stärker verbünden und organisieren, um für ihre Prinzipien wirkungsvoll zu kämpfen. Und zwar unabhängig davon, ob der Einzelne gerade  von Repressalien, Kürzungen oder gar Schließung bedroht ist, sondern ständig und nachhaltig.

Soziale Arbeit muss immer auch politische Arbeit sein. Dazu gehört es, die Klient*innen zu befähigen, für ihre Rechte einzustehen und vor allem denen beizustehen, die das selber nicht können. Dazu gehört es auch, sich aktiv in politische Entscheidungsprozesse einzumischen, die Öffentlichkeit aufzuklären und zu mobilisieren.

Wir müssen uns viel stärker vernetzen, und zeitgleich müssen die Hochschulen die politische Dimension und Verantwortung Sozialer Arbeit wieder stärker in den Ausbildungsfokus rücken.

Für Leipzig bedeutet das, die vielfältigen Strukturen der Freien Jugendhilfe und Wohlfahrtsverbände, die ansässige Hochschule und den Berufsverband noch viel stärker zu verbinden und gemeinsam für eine gerechte Gesellschaft zu kämpfen. Damit ist der Fördermittelverlust sicher nicht zu verhindern – aber an Status können wir alle nur gewinnen.

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